Die-Vermessung

Die Vermessung der Schönheit

Die Vermessung der Schönheit geschieht bei Michael Becker auf dem Hintergrund einer klassischen Schulung: Vitruv, Leonardo, L.B. Alberti – immer wieder sind es die großen, klassischen Ästhetiker der Renaissance, die er als Quellen angibt. Alles andere als sklavisch, eher selbstbewusst geht er  so mit ihnen um, dass das Mysterium des doppelten Quadrats (um nur eines der vielen Ordnungs- und Proportionierungssysteme zu nennen, mit denen er sich beschäftigt) und seiner mit dem Zirkel erfassten Ableitungen und ihrer geordneten  Proportionsverschiebungen wie seine artistische Weltformel erscheint. Die Quadratur der Schmuckkreation hat bei ihm etwas perfektionistisch Analytisches, was die Annäherung betrifft, und etwas spielerisch Leichtes, was die Resultate angeht. Im Laboratorium dieses ästhetischen Tüftlers geht es um Miniaturen, als ob es um die Welt ginge. Vielleicht geht es ja auch tatsächlich um das Schicksal der Welt, einer Welt, in der die Proportionen harmonisch aufeinander abgestimmt sind, wenn in der Münchner Artilleriestraße die Lage und der Neigungswinkel eines gebogenen Titanplättchens festgelegt werden. Die Geometrie der Schönheit kennt keine Kompromisse, nur Gesetzmäßigkeiten. Mit ihren Windungen und Wendungen gleichen manche seiner Schmuckstücke, sobald sie getragen werden, chromatischen Tonleitern, die Klänge wieder und wieder umspielen und modellieren – wer hätte gedacht, dass Ketten nicht nur bei jeder Bewegung im Licht funkeln, sondern klingen können? Sphärenklänge – na, gottlob ist alles doch nur ernstes, sehr ernstes Spiel. Dafür bürgt das Genre der angewandten Kunst, die ja immer zu den Menschen hin will. Ketten, Armbänder, Ringe jenseits der Menschen, der Trägerinnen, Besitzer und Benutzer gibt es eigentlich gar nicht. Und so ist es die Doppelbewegung, die Bewegung der Bewegung, die auch Beckers Artefakte erst zum Leben, zum wirklichen Leben bringt.